Kommentar
Beim Lesen der Pressemitteilung drängt sich dem Leser ein eigenartiger Eindruck auf. Die Richter des vierten Senats des Bundesverwaltungsgerichts haben sich sehr viel Mühe gegeben, mit ihren Argumenten die angebliche Rechtmäßigkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses vom 13.8.2004 zu begründen. Dabei sind sie wohl unbeabsichtigt bei einigen Argumenten über das Ziel hinausgeschossen und zeigen dem aufmerksamen Leser damit deutlich, was sie wirklich bezwecken.
Beispielsweise wird in der Mitteilung behauptet: Jeder, der durch Fluglärm abwägungserheblich betroffen werden kann, könne Klage gegen die Anlegung oder den Ausbau eines Flughafens erheben. Dies sei dann der Fall, wenn sein Grundstück innerhalb des „Einwirkungsbereichs“ des Flughafens liege und außerdem nicht auszuschließen sei, dass vor der Eröffnung des Flughafens ein zu seiner Betroffenheit führendes Flugverfahren festgelegt werde. Dass der Betroffene sich aber bereits lange vor der Festlegung der Flugverfahren, nämlich bereits während der Auslegung der Planunterlagen und anhand der dort zu findenden prognostischen Flugrouten und Lärmbewertungen entscheiden muss, ob er sich betroffen fühlt, sich mittels einer Einwendung an dem Planungsverfahren beteiligt und nur dadurch überhaupt seine Klagebefugnis sichert, scheinen die Richter völlig zu ignorieren. Muss denn nach dieser juristisch höchst spitzfindigen Auslegung der Grundlagen eines verwaltungsrechtlichen Anhörungsverfahren in Zukunft jeder Bürger im Umkreis von vielleicht 30 Kilometern um ein Flughafenprojekt davon ausgehen, er wohne im „Einwirkungsbereich“ des Flughafens und entgegen der detaillierten Angaben im ausgelegten Plan müsse er trotzdem stets damit rechnen, dass die erst später festgesetzten Flugrouten ja letztlich vielleicht doch über seinen Kopf führen werden?
Es klingt grotesk, aber es hat Methode. Mit dieser Argumentation kann jede noch so triviale Flugroute in der geradlinigen Verlängerung der Pistenachse so interpretiert werden, als stünde sie stellvertretend für einen ganzen „Einwirkungsbereich“ hinter dem Pistenende. Dem steht sachlich entgegen, dass eine Flugroute im Datenerfassungssystem zur Berechnung der Lärmbelastung geometrisch sehr genau beschrieben werden muss, um ihre Lärmauswirkungen berechnen zu können. Ob diese Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes einer genaueren verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten wird, darf bezweifelt werden.Ein anderes Argument der Pressemitteilung widmet sich dem Urteil vom 13.10.2011 zum Nachtflugbetrieb. Dort kommt das Bundesverwaltungsgericht in der Rn. 159 zu der Einsicht: Soweit es um die Regelung des Nachtflugbetriebs geht, war hingegen die für den abhängigen Bahnbetrieb erstellte Grobplanung der An- und Abflugrouten ausreichend, um die Lärmbetroffenheit auch bei unabhängigem Bahnbetrieb abzuschätzen. Hier behauptet das Gericht lediglich, für die Abschätzung der Lärmbetroffenheit bei unabhängigem Betrieb in der Nacht (22 - 6 Uhr) konnte auf die genaue Berücksichtigung der An- und Abflugrouten verzichtet werden; die trivialste Lösung „parallele Routen“ war dafür nachts ausreichend. Diese Einsicht für den Nachtflugbetrieb verwandelt sich in der Pressemitteilung zu einem Fakt, der offenbar auch am Tage gilt: Da die Grobplanung mit geradlinigen Abflugrouten für die Abwägung ausreichend war, durften bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit einer neuen Grobplanung auch verfahrensökonomische Erwägungen berücksichtigt werden. Hier wird der Eindruck erweckt, als gelte das generell, also auch für den Tag. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtflugbetrieb ist am BBI/BER aber enorm: zwischen 22 und 6 Uhr gibt es wegen des inzwischen rechtskräftigen Nachtflugverbots höchstens drei reguläre Betriebsstunden, zwischen 6 und 22 Uhr aber 16, das sind immerhin mehr als fünf mal so viele, wie in der Nacht! Meinen die Richter des Bundesverwaltungsgerichtes jetzt etwa, es sei ausreichend, wenn auch für die Abschätzung der Lärmbetroffenheit durch die am Tage vielfach höhere Anzahl von unabhängigen Flugbewegungen lediglich die für den abhängigen Bahnbetrieb erstellte Grobplanung der An- und Abflugrouten zugrunde gelegt werde? In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den für 2023 prognostizierten rund 360.000 Flugbewegungen pro Jahr um etwa 180.000 Starts handelt, die wegen des im Planfeststellungsbeschluss genehmigten unabhängigen Flugbetriebs alle das Pistensystem auf divergierenden Abflugrouten verlassen müssen – es gibt ja sowieso keine anderen Abflugrouten als diese! Wie bitte, für die Abschätzung der Lärmbetroffenheit durch diese definitionsgemäß unabhängigen Starts am Tage ist die Annahme von lediglich geradlinigen Abflugrouten für die Abwägung ausreichend? Es wird interessant sein, diesen Passus inklusive Begründung in der noch ausstehenden schriftlichen Urteilsbegründung nachlesen zu können.
Der letzte Satz der Pressemitteilung klingt trotzig und wegen der auch dafür noch ausstehenden schriftlichen Urteilsbegründung wenig überzeugend: Die Zulassung des Vorhabens mit dem Ziel, einen unabhängigen Parallelbetrieb beider Bahnen zu ermöglichen, ist rechtmäßig. Aha. Wenn die Zulassung eines unabhängigen Parallelbetriebs beider Bahnen rechtmäßig war, bleibt es ein juristisches Kuriosum, wenn das Bundesverwaltungsgericht in seiner Protokollerklärung vom 3.7.12 als wahr ansieht, dass der geplante unabhängige Parallelbetrieb nur mit um mindestens 15° divergierenden Flugrouten realisiert werden konnte und dass dies der Planfeststellungsbehörde, der DFS und der damaligen Flughafenplanungsgesellschaft bekannt war. Ist etwa die bewusste und vorsätzliche Annahme einer Flugrouten-Grobplanung mit ausschließlich parallelen Flugrouten für den unabhängigen Flugbetrieb auch rechtmäßig, selbst wenn der Behörde dafür die Notwendigkeit divergierender Routen bekannt gewesen war?
In seinem Urteil vom 13.10.2011 war das Gericht da schon mal einen Schritt weiter. In Rn. 151 stellt es dort fest, die Prognose der Flugroutenplanung ist bereits dann fehlerhaft, wenn die Flugroutenplanung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht realisiert werden kann oder wenn bereits zum Zeitpunkt der Planfeststellung definitiv feststeht, dass das BAF andere Flugstrecken festlegen wird. Der Zeitpunkt der Planfeststellung war der 13.8.2004. Seit dem 29.9.1998 wussten alle Beteiligten, dass die DFS wegen des beabsichtigten unabhängigen Flugbetriebs auf beiden Pisten des Parallelbahnsystems divergierende Startrouten zur Festsetzung durch das BAF erarbeiten wird!
Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtes ist keine schriftliche Urteilsbegründung. Sie enthält zwar die Kerngedanken des Urteils, ist aber nicht rechtsverbindlich. Sollte das Gericht seine schriftliche Urteilsbegründung mit derselben Sorgfalt zusammenstellen wie diese Pressemitteilung, so verdichtet sich der Eindruck, das Gericht hatte nur das eine Ziel, das Projekt BER trotz erdrückender Klägerargumente zu retten. Ob es dem Projekt mit diesem Urteil einen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ließ das Bundesverwaltungsgericht die Gelegenheit ungenutzt verstreichen, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens durch richterliche Entscheidungen wieder herzustellen. Dafür müssen sich in Zukunft andere Gerichte mit der Frage beschäftigen, ob das Bundesverwaltungsgericht seinen Aufgaben gewachsen war oder sich lediglich als juristischer Erfüllungsgehilfe für ein rechtsstaatlich höchst fragwürdiges Flughafen-Planungsverfahren hergab.