von Prof. Dr. Ulrich Geske (VDGN)
Es ist eigentlich unfassbar. 1996 gab es den Konsensbeschluss zum neuen Flughafen (jetzige Bezeichnung BER) für Berlin. Daran anknüpfend legt am 4. Juli 1996 der Senat dem Abgeordnetenhaus von Berlin den entsprechenden Bericht vor. Schon damals, vor 18 (achtzehn!) Jahren, wussten die Verantwortlichen, dass am vorgesehenen Flughafenstandort, im dichtbesiedelten Gebiet, der Lärmschutz eine besondere Rolle spielt:„Berlin wird im Rahmen dieses Verfahrens insbesondere darauf hinwirken, dass durch die Optimierung des Flughafenlayouts sowie qualitativ hochwertige Lärmschutzmaßnahmen die Auswirkungen auf die von dem Flughafenausbau betroffenen Menschen so gering als möglich bleiben.“ (Unterschrift: Senat von Berlin, Eberhard Diepgen).
Lärmschutz gleich Null
Gerade beim Unterzeichner, dem Senat von Berlin, scheint jedwedes Verantwortungsbewusstsein für die Einhaltung seiner eigenen Festlegungen zu fehlen. Heute, 18 Jahre später und nach endlos langer Zeit, die Zusicherung ehrlich zu erfüllen sowie zwei Jahre nach der fehlgeplanten und fehlgeschlagenen Inbetriebnahme des BER, warten noch immer zehntausende von Anwohnern auf den Lärmschutz ihrer Häuser. Als ob den Beteiligten nicht bewusst ist, dass die planfestgestellte Bedingung für die Inbetriebnahme des Flughafens die Realisierung der Lärmschutzmaßnahmen an den 25.500 zu schützenden Häusern, 14.000 davon im stark lärmbetroffenen Tagschutzgebiet, ist. Der VDGN wird sich weiterhin mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen, dass diese Reihenfolge von Bedingungen und Folgerungen konsequent und vollständig eingehalten wird.
Ungerührt von der Realität spricht der Flughafenchef von „Schallschutz ohne Wenn und Aber“ und vom „weltbesten Schallschutz“. Wie sieht aber dieser weltbeste Schallschutz mit 0-Prozent-Realisierungsgrad-Realität aus? Schlimmer als es diese Begriffsbildung ahnen lässt! Selbst den Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Lärmschutz“ im VDGN, die sich seit Jahren mit den mangelhaften Maßnahmen zum Lärmschutz in den Häusern der Anwohner und dem schleppenden Fortgang des Lärmschutzprogramms der Flughafengesellschaft beschäftigt, verschlägt es den Atem, was von der Flughafengesellschaft FBB, offenbar mit Rückendeckung, fortdauernd und immer noch und aktuell an abenteuerlichen Textinterpretationen lanciert wird. Einige der eklatantesten Beispiele für die von uns als Beschneidung notwendiger Schutzmaßnahmen angesehenen Vorgehensweisen der Flughafengesellschaft sind die Einbringung eines das Lärmproblem verniedlichenden Gutachtens im Jahr 2001über lediglich 1,9 Mio. DM für erforderliche Lärmschutzmaßnahmen in die Antragsunterlagen zur Planfeststellung; die eigenmächtige drastische Reduzierung des planfestgestellten Schutzziels im Jahr 2008 trotz fehlender Zustimmung der Planfeststellungsbehörde und aktuell, 2014, eine allen Anzeichen nach nicht nur in Ausnahmefällen erfolgende Unterstellung der Untunlichkeit von Lärmschutzmaßnahmen, so dass diese Häuser gegen die Höhe des zu erwartenden Lärms nicht, wie zugesichert, geschützt sein werden. Eine Maßnahme ist untunlich, wenn sie die Flughafengesellschaft finanziell zu stark belastet. Ist das der weltbeste Schallschutz?
Was ist Weltspitze?
Wagen wir einen Blick in die Welt: Nach eigener Darstellung des Flughafens Amsterdam wurden von ihm dort bereits seit den 80-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts durchschnittlich 43.000 Euro in jedem Haus in dem Schutzgebiet für Schallschutz ausgegeben. Im laufenden Schutzprojekt sind es ca. 47.000 Euro pro Haus.
Bis zur Aufdeckung der von der Flughafengesellschaft des BER betriebenen „systematischen Verfehlung“ (Zitat aus dem OVG-Urteil) des Schutzziels durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wollte die FBB mit knapp 1/10 dieser Summe auskommen. Übrigens ist es bemerkenswert, wie feinfühlig Gerichte Tatbestände benennen können, für die der Normalbürger ganz andere Begriffe verfügbar hat. Man denkt, nach der gerichtlichen Klärung ist das nunmehr Vergangenheit, denn auch Herr Mehdorn hat kürzlich auf Grund der durch das Gericht auferlegten Verpflichtung, sich an die Festlegung des Planfeststellungsbeschlusses zu halten, die Notwendigkeit von 730 Millionen Euro für den Lärmschutz zugegeben. Man kann es anhand der angegebenen Anzahl von zu schützenden Häusern nachrechnen, es wären im Mittel nur 29.000 Euro pro Haus. Anders formuliert, um zwar nicht besser zu sein, aber zumindest mit der Weltspitze gleichzuziehen, wären ca. 1,2 Milliarden Euro für den Lärmschutz an den Häusern aufzubringen. Obendrauf kommen unserer Meinung nach noch beträchtliche Kosten für DIN-gerechte Belüftungseinrichtungen, die nicht zum Lärmschutz beitragen, aber zwingend notwendig und vorgeschrieben sind, weil die Fenster permanent geschlossen gehalten werden müssen und um Schimmelgefahr abzuwenden. Diese Summe, um wenigstens zur Weltspitze aufzuschließen, wäre ausschließlich eine Folge der Standortentscheidung und des Festhaltens an dieser „Erfolgsgeschichte“ (Zitat, Reg. Bürgermeister von Berlin) und kennzeichnet nur die finanziellen Mittel für das verbürgte Minimum an Schallschutz. Sie beinhaltet entgegen anderer Darstellung keinerlei großzügige Interpretationen von Vorschriften und Gesetzen und keinerlei Zusatzforderungen von Betroffenen („Eigensinn des radikalen Egoisten“, Zitat Pressesprecher BER).
Ausnahme wird zum Regelfall
Das Verhalten der FBB in der Vergangenheit ist offensichtlich ihr Verhalten der Gegenwart. Das Ziel ist anscheinend gleich geblieben: Wie können die Mittel für Lärmschutz reduziert werden? Der Planfeststellungsbeschluss besagt, dass die Häuser bautechnisch zu schützen sind und sieht vor, dass im Ausnahmefall, wegen Überschreitung einer Kappungsgrenze (Schallschutz teurer als 30 Prozent des Immobilienwertes), statt Lärmschutz eine Entschädigung gezahlt wird. Der Ausnahmefall wird nun etwas großzügiger interpretiert und eine Immobilienbewertungsfirma beauftragt, für etwa 5000 Häuser eine Überprüfung vorzunehmen, ob eventuell dieser Ausnahmefall vorliegt. Häuser, für die das bestätigt wird, bleiben dann ohne Lärmschutz. Die Zahlung einer Entschädigung ist an keinen Termin gebunden. Wenn zusätzlich noch deutschlandweit gängige Wertermittlungsvorschriften durch eine kreativ erfundene „Schallschutzbezogene Wertermittlung“ ausgehebelt werden können, ließe sich der Lärmschutz auf vielleicht 20.000 Euro begrenzen. Phantasie? Was würden die verantwortlichen Ministerien, der Senat von Berlin, der BER-Aufsichtsrat dazu sagen? Realität: Genau zu einer derartigen „Schallschutzbezogenen Wertermittlung“ fand eine Beratung am 20. Februar 2014 im Potsdamer Ministerium statt! Realität ist auch, dass die Flughafengesellschaft 2012 ein Gutachten eingereicht hat, um nachzuweisen, dass die Kosten für Lärmschutz viel zu hoch sind. Dabei ist sie selbst, ohne Immobilienwertgutachten anfertigen zu lassen, von einem pauschalen Immobilienwert von 200.000 Euro ausgegangen, d.h. von möglichen 60-70.000 Euro für Lärmschutz. Auch die Außenbereichsentschädigung nach Planfeststellungsbeschluss geht von diesem Wert aus. In der 3. Fluglärmschutzverordnung von 2013 wird dieser Wert zeitgemäß sogar auf 250.000 Euro erhöht.
Zusicherung einhalten
Unsere Forderung ist, die Zusicherung zum bestmöglichen Lärmschutz einzuhalten und standardmäßig von einer Pauschalsumme von 250.000 Euro für den Immobilienwert eines Einfamilienhauses auszugehen. Diese Summe wäre der Ausgangspunkt für die 30-prozentige Kappungsgrenze. Zeitaufwendige, teure und zu einer Unmenge von Konflikten anlass gebende Wertermittlungen sind auf seltene Ausnahmefälle einzugrenzen. Dadurch könnte sichergestellt werden, dass der im Planfeststellungsbeschluss zugesicherte Lärmschutz tatsächlich auch realisiert werden kann. Aktuell werden die Betroffenen, die zunächst Kenntnis für die für ihr Haus berechneten Schallschutzmaßnahmen haben und die Berechnungen überprüfen möchten, mit Einschüchterungsschreiben der Flughafengesellschaft genötigt, der Wertermittlung nach deren Maßgabe zuzustimmen: „Sollten Sie auf Ihrer Forderung bestehen, müssen wir die Bearbeitung Ihres Antrags leider zurückstellen.“ (Zitat, Schreiben der FBB). Um das Schwarze-Peter-Spiel perfekt zu machen, wird nach der jahrelangen Verschleppung des Lärmschutzes durch die FBB im nächsten Satz nunmehr der Lärmbetroffene verantwortlich gemacht: „Sollten dadurch zeitliche Verzögerungen bei der Erfüllung der Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses entstehen, geht dies nicht zu unseren Lasten“ (Zitat, Schreiben der FBB). Die FBB schreibt den Betroffenen: „… die schalltechnische Objektbeurteilung hat ergeben, dass bei Ihnen die Schallschutzmaßnahmen 30 Prozent des schallschutzbezogenen Verkehrswertes … übersteigen könnten“. D.h., der FBB liegen die Kosten für die Maßnahmen vor und sie beauftragt die Wertermittlung bei der vertraglich für diesen Zweck gebundenen Firma. Die Bewertungsfirma hat dadurch auch Kenntnis, dass es sich um einen derartigen Fall handelt. Wie soll unter diesen Umständen noch eine unbeeinflusste, objektiv und neutrale Wertermittlung vor sich gehen?
Wir fordern deshalb den sofortigen Stopp dieser augenscheinlich die Betroffenen extrem benachteiligenden Wertermittlung und bekräftigen auch aufgrund dieser Vorgehensweise die Zugrundelegung einer Pauschalsumme von 250.000 Euro für den Verkehrswert eines Einfamilienhauses und damit für die Höhe der Kappungsgrenze. Den Eigentümern sind zur Vermeidung weiterer Verzögerungen unverzüglich die der FBB vorliegenden bepreisten Leistungsverzeichnisse zur Prüfung und möglichen Beauftragung auszuhändigen.
[Auf der von der Flughafengesellschaft offiziell verkündeten Liste der vertraglich gebundenen Firmen zur Realisierung komplexerer Lärmschutzmaßnahmen stehen gerade einmal fünf Firmen. Andere Fachfirmen beauftragen zu können, erscheint hoffnungslos, denn anstatt den Firmen einen einmal erstellten zertifizierten Bauteilkatalog für nicht in der DIN4109 aufgeführten Baukonstruktionen zur Verfügung zu stellen, beauflagt die FBB diese Firmen mit der „…Vorlage von Prüfzeugnissen“(Zitat, Schreiben der FBB) für die Einbauten. Baufirmen werden im Allgemeinen aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sein, diese Zertifikate zu beauftragen und werden die Gefahr erkennen, ihre Leistungen möglicherweise nicht bezahlt zu bekommen und vermutlich derartige Aufträge ablehnen. Wir fordern deshalb, um den Stillstand bei der Realisierung des Lärmschutzes zu überwinden und Ressourcenverschwendung zu vermeiden, die Veranlassung der einmaligen Erstellung eines zertifizierten Bauteilkatalogs für absehbare bauliche Konstruktionen zum Lärmschutz, der allen interessierten Firmen zur Verfügung gestellt wird.
FBB-Praxis zerstört Vertrauen
So gut wie alle Häuser im Tagschutzgebiet erfordern nach unseren Erhebungen und Abschätzungen derartige komplexe Lärmschutzmaßnahmen. Mit den genannten Ressourcen wird es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis die Häuser geschützt sind (Annahmen: 14.000 Häuser im Tagschutzgebiet mit drei zu schützenden Räumen, fünf Firmen verfügbar, eine Firma benötigt zum Schutz eines gesamten Hauses einschließlich aller Vor- und Nacharbeiten nur einen Tag). Die Überschreitung des Zeitpunktes der Inbetriebnahme und möglicherweise massenhaft nicht geschützte Häuser werden offenbar bewusst in Kauf genommen (es sei denn, intern ist schon ein Termin 2028 für die BER-Inbetriebnahme bekannt). Zu vermuten wäre, dass es der FBB an finanziellen Mitteln mangelt, die ausgeführten Leistungen der Firmen zu bezahlen und sie deshalb das Programm auf Kosten der Gesundheit der Anwohner in die Länge zieht. Falls das zuträfe, wäre zu fragen, wo die mindestens 300 Millionen Euro geblieben sind, die von der Flughafengesellschaft bei der EU ausdrücklich für den Lärmschutz als Beihilfe beantragt und von dieser bewilligt wurden? Die Flughafengesellschaft hat durch die vorstehend beschriebenen und weitere Aktivitäten über mehr als ein Jahrzehnt gezeigt, daß Sie ihrer Verantwortung beim Lärmschutz der Flughafen-Anwohner nicht nachkommen kann und will. Nunmehr sind jeglicher Glaube in ihre Integrität und Vertrauen in Maßnahmen, die von ihr ausgehen, dauerhaft zerstört.
Genereller Ansatz zur Lösung des Lärmschutzproblems
Ähnlich wie es gerade bei der Baukostenüberwachung vom Bundesverkehrsministerium gefordert wird, ist die Koordinierung der Lärmschutzmaßnahmen an eine externe, neutrale, von der Flughafengesellschaft vollkommen unabhängige Institution zu übertragen, die treuhänderisch die finanziellen Mittel für den Lärmschutz verwaltet und die für die gesamte Realisierung des Lärmschutzes verantwortlich ist und primär den Aufsichtsgremien bzw. den Gesellschaftern des BER berichtet.
Wir hatten schon 2012 im Brandenburgischen Landtag aus den genannten Gründen vorgeschlagen, diese Aufgabe beispielsweise dem Brandenburgischen Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (LUGV) zu übertragen. Ziel der Treuhandstelle muss es sein, den Lärmschutz mindestens in planfestgestellten Umfang zu gewährleisten und sicherzustellen, daß die Häuser zur BER-Inbetriebnahme im festgelegten Umfang und vollständig lärmgeschützt sind. Vielleicht wird aus einer bisher nur als Worthülse gebrauchten Buchstabenfolge dann noch, zumindest in der begrenzten Fläche der eigenen vier Wände, Realität - „weltbester Schallschutz“ – aber Grundstück, Garten, Umgebung, Spielplätze, Freiflächen werden selbst dann unglaublich und gesundheitsgefährdend verlärmt sein.
Aus dem VDGN-Verbandsjournal 7/2014 mit freundlicher Genehmigung des VDGN-Vorstands