Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde der Flughafengesellschaft FBB (vormals FBS) gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg vom 25. April 2013 zurückgewiesen. Mit dieser Entscheidung endet ein mehrjähriger Rechtsstreit mit der höchstrichterlichen Bestätigung der Rechtsauffassung der Kläger. Neben zahlreichen privaten Klägern, von denen eine Gruppe vom BVBB unterstützt wurde, hatten auch die Gemeinden Blankenfelde-Mahlow und Eichwalde gegen das Brandenburgische Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft MIL (vormals MIR) geklagt. Die Flughafengesellschaft FBB war als Beigeladene am Verfahren beteiligt.
Die Erkenntnis, dass beim Schönefelder Flughafenprojekt der Schallschutz für die Betroffenen einen enormen Aufwand erfordert, ist nicht neu. Schon im Raumordnungsverfahren 2004 wurde der Standort Schönefeld unter anderem wegen dieses Aufwandes als nicht geeignet charakterisiert. Im Planfeststellungsbeschluss hat die zuständige Behörde offenbar bewußt ein vergleichsweise anspruchsvolles Tag-Schutzziel festgelegt. Man kann davon ausgehen, dass das Bundesverwaltungsgericht 2006 die zahlreichen gegen den Standort gerichteten Klageargumente auch deshalb abwies, weil zumindest das Tag-Schutzziel ein hohes Niveau für den Schutz der Kommunikation in geschlossenen Wohnräumen versprach.
Kern der jetzt beendeten Auseinandersetzung war die Interpretation der Formulierung zum Tag-Schutzziel des Planfeststellungsbeschlusses vom 13.8.2004. Der Planfeststellungsbeschluss, der dem Bau des Flughafenprojektes BER zugrunde lag, lässt nach Auffassung der Kläger hinsichtlich des Tag-Schutzzieles keine Interpretation zu. Man kann ihm die klaren Sätze entnehmen: Für Wohnräume ... sind geeignete Schallschutzvorrichtungen vorzusehen. Die Vorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch die An- und Abflüge am Flughafen im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern keine höheren A-bewerteten Maximalpegel als 55 dB(A) auftreten. Die Formulierung des Tag-Schutzziels wurde vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. März 2006 bestätigt und präzisiert: Die Tagschutzregelung ... lässt keinen Raum für die Deutung, dass ... im Innern der ... genannten Räume der Maximalpegel von 55 dB(A) auch nur einmal überschritten werden dürfte.
Die Flughafengesellschaft hat 2006 gegen dieses höchstrichterlich bestätigte Tag-Schutzziel keine Rechtsmittel eingelegt. Erst im Jahre 2008 versuchte sie mit dem eindeutigen Ziel, ihre Schallschutzkosten möglichst niedrig zu halten, das bis dahin unstrittige Tag-Schutzziel anzugreifen. Im November 2008 erklärte die Flughafengesellschaft angesichts der Schallschutzkosten, die bei korrekter Einhaltung des Tag-Schutzzieles gemäß Planfeststellungsbeschluss auf sie zukämen, gegenüber dem MIR: Die Schutzzielbestimmung ... aus dem Planfeststellungsbeschluss (kann) nicht dahingehend verstanden werden, dass der Wert von 55 dB(A) keinmal überschritten werden darf. Erläuternd führte sie aus, sie habe daher bei der Kostenplanung bezüglich des Vollzugs der Schallschutzauflage ein Tag-Schutzziel im Rauminneren von 16 Überschreitungen des Maximalpegels von 55 dB(A) zugrunde gelegt, womit sich Schallschutzkosten in Höhe von etwa 139 Mio Euro ergäben. Die Analyse habe gezeigt, dass die Kosten bei Ansatz eines Schutzzieles von weniger als sechs Überschreitungen des Maximalpegels von 55 dB(A) sehr deutlich ansteigen würden.
Das MIR hatte damals angesichts dieses Vorgehens der FBS überraschend klare Worte gefunden: Die Planfeststellungsbehörde sehe keinen Anlass, von den Regelungen im Planfeststellungsbeschluss abzuweichen. Der FBS seien die Auflagen zum Tagschutz bekannt gewesen und sie habe nicht dagegen geklagt. Es bestehe kein Bedarf, diese Regelungen aufzuheben und gegebenenfalls eine Verschlechterung des passiven Lärmschutzes der Betroffenen in Kauf zu nehmen. Im Gegenteil, die FBS könne nicht mit dem Argument der eigenen Kostenreduzierung den Lärmschutz der Betroffenen aushebeln!
Trotz dieser scheinbar eindeutigen Position ließ sich das MIR später von der FBS bevormunden und entzog sich seiner Verantwortung gegenüber den Betroffenen. Das Ministerium sah keine Veranlassung, als zuständige Behörde angesichts der systematischen Verfehlung des Tag-Schutzzieles durch die FBS aufsichtsrechtlich gegen das Unternehmen vorzugehen. Mit dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg ist sie nunmehr gezwungen sicherzustellen, dass die Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses von der Flughafengesellschaft eingehalten werden. Was für einen unbefangenen Leser dieses Satzes wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist beim Projekt BER keineswegs selbstverständlich. Wie diese juristische Auseinandersetzung zeigt, ist es hier nicht selbstverständlich, dass behördliche Auflagen vom Projektträger eingehalten werden. Schlimmer noch: Die zuständige Behörde kommt trotz einer vorsätzlichen und systematischen Verfehlung bei der Umsetzung der Auflage ihrer Aufsichtspflicht nicht nach. Beim Projekt BER müssen die Betroffenen erst bis vor die Schranken des Bundesverwaltungsgerichtes ziehen, um die ihnen aus dem Planfeststellungsbeschluss zustehenden Ansprüche auch durchzusetzen!
Mit der juristischen Niederlage der Beklagten erreicht das Vertrauen der Betroffenen gegenüber der Flughafengesellschaft und der zuständigen Brandenburgischen Behörde einen neuen Tiefpunkt. Die Kläger eint nicht nur die Genugtuung, das systematische Unterlaufen der Tag-Schutzregelung durch die Flughafengesellschaft mit Rechtsmitteln erfolgreich unterbunden zu haben. Darüber hinaus steht jetzt fest, dass ihre Rechtsauffassung zum Tag-Schutzziel schon im Urteil des Jahres 2006 vom Bundesverwaltungsgericht unmissverständlich geteilt wurde. Aus der jüngsten Entscheidung dieses Gerichtes lässt sich aber noch ein weiterer Schluss ziehen: Von Anfang an hat die Flughafengesellschaft mit dem Ziel der Kostenreduzierung beim Lärmschutz bewusst und vorsätzlich versucht, nicht nur das Tag-Schutzziel des Planfeststellungsbeschlusses vom 13.8.2004, sondern auch das höchstrichterliche Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.3.2006 zum Nachteil der Anspruchsberechtigten falsch zu interpretieren!
Es dürfte interessant sein zu beobachten, wie die EU-Kommission auf diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes reagieren wird. Sie hatte im Dezember 2012 den umfangreichen Beihilfen der Flughafengesellschafter zugestimmt, die unter anderem mit wissentlich falschen Angaben zum Tag-Lärmschutz begründet worden waren. In der Begründung war behauptet worden, die Flughafengesellschaft sei von dem vorläufigen Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg zum Tag-Schutzziel vom 15.6.2012 überrascht worden und benötige daher nun weitere Hunderte Millionen Euro, um den Schallschutz wie vom Gericht verlangt realisieren zu können. Die Wahrheit dürfte lauten: Die FBB hatte dieses Urteil nicht erwartet, weil sie nicht damit gerechnet hatte, eines Tages beim systematischen Unterlaufen des Tag-Schallschutzziels aus dem Planfeststellungsbeschluss erwischt zu werden. Für den Lärmschutz hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt schon immer viel zu wenig Geld eingeplant. Daher kann von einer Kostensteigerung beim Lärmschutz keine Rede sein. Die Beihilfen betrafen Geldmittel, die die Flughafengesellschaft von Anfang an für eine korrekte Umsetzung des Schallschutzes hätte einplanen müssen, was sie allerdings nie tat. Darüber wurde die EU-Kommission zweifellos nicht genauer informiert - aber auch diese Lügen haben kurze Beine!
Gunnar Suhrbier