Die Darstellung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der vom Flugroutenbetrug Betroffene sich bereits mit Klagen im Erstverfahren 2004 hätten einbringen können, mutet abenteuerlich an. Denn nach der ständigen Rechtssprechung des Gerichts galt bisher, dass von den ausgelegten Unterlagen eine Anstossfunktion ausgehen muss, d.h. die Bürger müssen aus der Darstellung des Projekts ihre Betroffenheit erkennen können. Nur dann nämlich können sie ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen, die sich auf Artikel 103 des Grundgesetzes (Anspruch auf rechtliches Gehör) stützen. Jetzt aber sollen nur möglicherweise Betroffene aufs Blaue hinein klagen, selbst wenn die Unterlagen noch nicht einmal in der Wohngemeinde auslagen, wie im Fall von Kleinmachnow.
Die neue Betrachtungsweise des Gerichts wirft auch eine Reihe ganz praktischer Fragen auf. Wo zum Beispiel ist die Grenze der Beteiligung zu ziehen, wenn selbst die Bevölkerung der Havelseen, die Dutzende Kilometer vom BER entfernt wohnt, sich durch die Flugrouten betroffen fühlt? Bei einem derart weit gefassten Maßstab, wie ihn jetzt das Gericht meint ziehen zu müssen, könnte deshalb bald halb Brandenburg klagen. Waren die 4.000 Kläger damals dem Gericht also noch nicht genug? Kann das ein Gericht noch leisten, dass von seiner Konzeption her als reine Revisionsinstanz angelegt ist und nur durch die Beschleunigungsgesetze zur Tatsacheninstanz degradiert wurde. Wollen die Richter das überhaupt leisten?
Und was ist mit Klägern, die dem Ratschlag des Gerichts bereits 2004 gefolgt wären, ohne zuvor eine Einwendung bei der Anhörungsbehörde erhoben zu haben? Nach jetzigem Recht gelten sie als präkludiert, d.h. sie sind vom Klageweg ausgeschlossen.
Darüber hinaus gilt immer noch, eine Klage muss zulässig und begründet sein, um Erfolg zu haben. Die Zulässigkeit verlangt aber, dass man die individuelle Verletzung von Rechten darstellen kann. Wie aber soll das gehen, wenn die ausgelegten Pläne überhaupt keine Betroffenheit zeigen? Da muss der Bürger schlauer sein als Flughafen und Planfeststellungsbehörde zusammen. Es bedarf deshalb nicht viel Phantasie, wie das Gericht solche Klagen "ins Blaue hinein" abgebürstet hätte, weil allein schon die formalen Kriterien nicht erfüllt waren. Im Übrigen wäre es spannend, unter den Tausenden Klägern von damals, nach jenen zu suchen, die sich gerade wegen der "Flüchtigkeit" der Flugrouten an das Gericht wandten, um zu sehen, was der Senat damals dazu sagte.
Es stellt sich auch die Frage, wie Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde mit Einwendungen "ins Blaue hinein" umgehen sollen? Wie kann eine Bewertung und Abwägung erfolgen, wenn die behauptete Betroffenheit keinen Bezug zu den Planunsgunterlagen hat? Sollen die Behörden etwa raten, wie hoch die Lärm- und Schadstoffbelastung zum Beispiel in Kleinmachnow ist? Und wurde das Thema "Flugrouten" nicht auch während der Anhörung thematisiert? War der Tenor der Antworten nicht immer der gleiche, nämlich dass die Flugrouten erst in einem späteren Verfahren festgelegt würden und deshalb gerade nicht in die Abwägung der Planungsentscheidung eingehen?
Und zuletzt muss auch gefragt werden, ob es nicht das Gericht selbst war, dass den Kreis der Betroffenen bisher eng fasste? Denn wenige Tage vor der Verhandlung im Erstverfahren 2006 setzte die Landesregierung einen neuen Landesentwicklungsplan (LEP) für Schönefeld in Kraft, in dem sich die Anzahl der Lärmbetroffenen fast verdoppelte. Trotzdem schenkte das Gericht dieser Tatsache keine Bedeutung und fällte sein Urteil auf Grundlage des alten Landesentwicklungsplanes.