Leserbrief zum Artikel "Gericht soll BER wieder schließen"
von Peter Neumann
in der Berliner Zeitung vom 28.2.2012, Seite 17
Sehr geehrter Herr Neumann,
ich möchte Sie auf einige Ungenauigkeiten in Ihrem Artikel aufmerksam machen, die es verhindern, die gegenwärtige Auseinandersetzung um den Flughafen BER richtig zu verstehen.
Zunächst geht es in den erwähnten Klagen nicht darum, dass gleichzeitige Starts von beiden Pisten vom Bundesverwaltungsgericht verboten werden sollen. Der von Ihnen erwähnte Hilfsantrag von RA Hellriegel hat das Ziel, die mit dem Planfeststellungsbeschluß erteilte Genehmigung für unabhängige Starts von beiden Pisten des Parallelbahnsystems wieder aufzuheben und nur abhängige Starts mit parallelen Abflugwegen zu erlauben. Der Unterschied zwischen gleichzeitig und unabhängig scheint unwesentlich zu sein, ist es aber nicht. Im Planfeststellungsantrag wurde ein unabhängiger Flugbetrieb auf dem Parallelbahnsystem beantragt. Damit kann auf beiden Pisten ohne jegliche Rücksichtnahme auf den Verkehr auf der jeweils anderen Piste beliebig gestartet oder gelandet werden. Dass es bei der erklärten Unabhängigkeit des Flugbetriebs auf beiden Pisten nicht auf Gleich- oder Ungleichzeitigkeit ankommt, liegt auf der Hand. Was erklärtermaßen unabhängig voneinander sein soll, ist natürlich auch zeitlich voneinander unabhängig. Beide Pisten können bei entsprechendem Bedarf auch gemeinsam nur für Starts oder nur für Landungen verwendet werden. Dabei kann es natürlich vorkommen, dass Flugzeuge zufällig "gleichzeitig" starten oder landen. Die bei unabhängigem Flugbetrieb gemäß ICAO-Regeln für die Starts geforderte Divergenz der Abflugwege von mindestens 15° geht also auf nicht auf deren zufällige Gleichzeitigkeit, sondern auf deren beabsichtigte Unabhängigkeit zurück. Alle ca. 180.000 Starts pro Jahr vom BER, also auch die zahlreichen zufällig nicht gleichzeitig stattfindenden, müssen den Flughafen auf diesen divergierenden Flugwegen verlassen. Andere Abflugwege gibt es ohnehin nicht, wie ein Blick auf die BAF-Routen vom 26.1.2012 zeigt. Übrigens hat das MIL noch im September 2011 versucht, das Bundesverwaltungsgericht erneut zu täuschen, indem es in der mündlichen Verhandlung behauptete, die divergierenden Abflugwege am BER würden lediglich für gleichzeitige Starts benötigt. Um diesem erneuten Täuschungsversuch auch in der Öffentlichkeit wirksam entgegenzutreten, bitte ich Sie, in Zukunft nur noch von den beantragten und genehmigten unabhängigen Starts und Landungen am BER zu reden. In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, auf das Wort "gleichzeitig" zu verzichten. Übrigens ist auch der Begriff "parallele Starts" unscharf, führt daher stets zu Verwirrung und trifft ebenfalls nicht das Wesentliche.
Ein anderer aufzuklärender Sachverhalt betrifft die von Ihnen erwähnte Täuschung der Öffentlichkeit. Sie besteht nicht darin, dass durch die divergierenden Startrouten "andere Bürger vom Fluglärm betroffen" sein würden. Dies ist lediglich eine von mehreren Folgen der im Oktober 1998 zwischen DFS, PPS und MSWV verabredeten Täuschung. Mit dem Bekanntwerden des Herberg-Schreibens im Dezember 2010 war offensichtlich geworden, dass diese Beteiligten keinesfalls die für den gewünschten unabhängigen Flugbetrieb unumgänglich notwendigen divergierenden Abflugwege im Planfeststellungsverfahren berücksichtigen wollten. Sie haben damit in Kauf genommen, dass sämtliche Lärmgutachten des Planfeststellungsantrages fehlerhaft waren, dass Zigtausende von Betroffenen ihre Lärmbetroffenheit nicht oder nicht richtig erkennen konnten und dass der beantragte unabhängige Flugbetrieb auf den dargestellten parallelen Abflugwegen überhaupt nicht abwickelbar war. Weil auch die Planfeststellungsbehörde an dieser Täuschung beteiligt gewesen war, ist auch der Planfeststellungsbeschluß von 2004 mit diesem vorsätzlichen Abwägungsfehler behaftet. Die Kläger von 2004 und auch das Bundesverwaltungsgericht konnten diese Täuschung damals nicht erkennen, weil die öffentlich bekannt gewordenen Verwaltungsvorgänge unvollständig waren. Daher ist es völlig korrekt, wenn man behauptet, die Baugenehmigung des BER ist durch Täuschung erschlichen worden. Wäre nämlich das Herberg-Schreiben schon 2004 bekannt gewesen, so wäre die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes 2006 zweifellos anders ausgefallen! Es muß offen bleiben, ob der Bau in Schönefeld 2006 auch mit einem anderen Urteil hätte begonnen werden können. Sicher ist nur, dass jetzt ein fast fertiger Flughafen in Schönefeld steht, aber über die Rechtmäßigkeit seiner Baugenehmigung wird erst nach seiner Eröffnung entschieden werden. Wir sollten daher abwarten, ob die Macht des Faktischen ausreichen wird, um einen vom Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg aus Steuermitteln rechtswidrig errichteten Flughafen weiter betreiben zu können. Ein privater Bauherr müßte jedenfalls einen Bau, dessen Baugenehmigung er durch Täuschung erschlichen hat, innerhalb einer festgesetzten Frist wieder abreißen ...
Mit freundlichen Grüßen
Gunnar Suhrbier