BVBB Bürgerverein Berlin Brandenburg e.V.

Leserbrief zum Artikel "Es war immer klar ..."
von Jürgen Schwenkenbecher
in der Berliner Zeitung vom 17.2.2011, Seite 29
 
Sehr geehrter Herr Schwenkenbecher,
 
es hat mich überrascht, in Ihrer heutigen Zeitung sogar eine Formel zu finden. Sicher meinen Sie es mit der Aufforderung zum Nachrechnen nicht ganz ernst. Ihre Bemühungen, aus der Berliner Zeitung eine Fachzeitschrift für das Berechnen von Fluglärm zu machen, halte ich allerdings für völlig abwegig.
Sie beteiligen sich daran, die Betroffenen über Details der jeweilig aktuellen Flugrouten zu informieren. Sie erklären Berechnungsverfahren der Deutschen Flugsicherung. Sie melden, wenn eine Flugroute in die "richtige" Richtung verschoben wurde und jemand damit sehr zufrieden ist, ein anderer dagegen nicht. Manchmal kann man auch lesen, welche Routen nun endlich vom Tisch sind. Glauben Sie wirklich, daß damit den Betroffenen geholfen ist? Merken Sie nicht, wie sich Vorhabenträger und Senat die Hände reiben, weil aus der Flugroutendiskussion bisher keine Flughafendiskussion geworden ist? Haben Sie noch nie die Angst hinter den Worten von Herrn Schwarz gespürt, wenn er das immer wieder beschwört?
Wenn Sie sich ein wenig ausführlicher mit der Ausbreitung von Lärm befassen, wird Ihnen sicher klar, daß Lärm sich nicht an Routen hält. Zum einen fliegen Flugzeuge nicht exakt auf diesen Routen, wie ein Blick auf die tatsächlich geflogenen Kurse an Flughäfen zeigt. Zum anderen ist ständig davon zu lesen, daß eine Verschiebung der Route nach da oder da eine Entlastung für die einen Betroffenen bringe, eine zusätzliche Belastung jedoch für die anderen. Das heißt doch nicht, daß nach einer Verschiebung alles gut wäre! Wenn der Maximalpegel eines Überfluges für einen Betroffenen dank Routenverschiebung statt ursprünglich beispielsweise 75 dB(A) nur noch 71 dB(A) heißt, soll er dann in Dankbarkeit auf die Knie fallen? Nicht weit entfernt wird ein anderer Betroffener wegen dieser Verschiebung vielleicht auf die Barrikaden gehen. Sie sollten lieber darüber berichten, daß links und rechts jeder einzelnen Flugroute bei jedem Überflug ein Lärmteppich entsteht, der auch noch in mehr als einem Kilometer Entfernung womöglich gesundheitsgefährdenden Lärm im menschlichen Ohr erzeugt! Nur sieht man das den dünnen farbigen Linien auf den zahlreichen Routendarstellungen nicht an, auf die Ihre Leser gebannt schauen und dabei ihren eigenen Wohnort zu lokalisieren versuchen. Es handelt sich bei der gegenwärtigen Diskussion um nichts anderes, als die großräumige Verteilung von Fluglärm eines von Politikern herbeigewünschten Internationalen Großflughafens, der in diese Region nicht hineinpaßt!
Herr Schwenkenbecher, Sie haben genug Sachkenntnis, um die richtigen Fragen zu stellen. In dem Interview mit Herrn Kaden, dem Chef der Deutschen Flugsicherung, legten Sie doch den Finger auf die Wunde: Wie konnte ein solches Desaster entstehen? Schauen Sie sich die Antwort von Herrn Kaden genau an! Es war der DFS nicht bekannt, was in Schönefeld publiziert wurde? Die DFS war als Träger öffentlicher Belange am Planfeststellungsverfahren beteiligt. Sie hat im Sommer 2000 eine Stellungnahme zum Antrag abgegeben, in der sie übrigens erneut auf die notwendige Divergenz hinwies. Ihr war selbstverständlich bekannt, welche Routen im Antrag abgebildet und für die Fluglärmberechnungen zugrundegelegt worden waren. Und sie kann sich sicher auch noch gut daran erinnern, wie schon 1998 versucht wurde, ihre Forderung mittels Druck aus dem Bundesministerium für Verkehr aus der Welt zu schaffen. Herr Kaden hat jedoch recht, wenn er behauptet, die DFS habe seit (Sommer, G.S.)1998 darauf aufmerksam gemacht, daß für gleichzeitige unabhängige Abflüge von beiden Routen eine 15-Grad-Divergenz erforderlich sei. Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, warum sich diese Tatsache im Planfeststellungsantrag vom Dezember 1999 nicht finden ließ und warum auch im Planfeststellungsbeschluß von 2004 kein Sterbenswörtchen davon zu lesen ist?
Herr Schwenkenbecher, ich kann Ihnen versichern, die Lunte vor dem Bundesverwaltungsgericht brennt schon, aber die Öffentlichkeit ahnt davon nichts! Es gibt Beweise dafür, daß die Forderung der DFS wegen der 15-Grad-Divergenz seit Sommer 1998 vorsätzlich vom Vorhabenträger ignoriert wurde! Es gibt Beweise dafür, daß das damals zuständige Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr dieses Vorgehen des Vorhabenträgers seit 1998 kannte und deckte. Es gibt Beweise dafür, daß die DFS 1998 unter Druck gesetzt wurde, um ihre Forderung fallen zu lassen. Und es gibt Beweise dafür, daß der Vorhabenträger diese Forderung ignorierte, um den schon damals zu erwartenden Widerstand aus den südlichen und südwestlichen Berliner Bezirken zu vermeiden und um den Zeitplan und vor allem auch den Standort nicht zu gefährenden. Der übrigens ohne Abstimmung mit der DFS von Politikern für den BBI ausgesuchte Standort Schönefeld war in den Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls angegriffen worden. Erst mit dem Urteil von 2006 war er besiegelt worden, womit viele der Kläger damals nicht gerechnet hatten.
Wir stehen einem der größten Planungsskandale der deutschen Geschichte gegenüber! Er ist vor allem belastet durch die übereilten und sachfremden Empfehlungen Berliner Politiker aus der Zeit nach der Wiedervereinigung! Es war vor allem die gemeinsame Sorge der Politiker und Planer, den Standort Schönefeld auf keinen Fall zu gefährden. Dafür wurde vorsätzlicher und gemeinschaftlicher Betrug in Kauf genommen. Dafür wurde im Planfeststellungsbeschluß ein unabhängiger und gleichzeitiger Flugbetrieb von beiden Pisten genehmigt, der auf der vorläufigen DFS-Routengeometrie von 1998 von vornherein und erklärtermaßen nicht abwickelbar sein würde. Das hat die Öffentlichkeit und keiner der Betroffenen, das hat selbst das Bundesverwaltungsgericht 2006 nicht erkannt!
Wir dürfen also gespannt darauf sein, wie das Gericht mit den jetzt dazu anhängigen Klagen und Einreden umgehen wird. Vielleicht spielen die Flugrouten, die zu einem am falschen Standort entstehenden Großflughafen gehören, eines Tages überhaupt keine Rolle mehr!
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Gunnar Suhrbier