BVBB Bürgerverein Berlin Brandenburg e.V.

Die kürzlich bekannt gewordene Ankündigung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission trifft die Achillesferse des Flughafenprojektes BER. Die Bundesrepublik wird aufgefordert, für die am 26.1.2012 festgesetzten Flugrouten die gemäß geltendem EU-Recht erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nachzuholen. Projektplaner und Politiker waren seit 1998 davon ausgegangen, ein vorsätzlich bei der Umsetzung der europäischen UVP-Richtlinie in deutsches Recht offen gelassenes Problem mittels Täuschung zu ihrem Vorteil ausnutzen zu können.

Seit Jahren hört der interessierte Betroffene die von ihnen stets wiederholte Rechtsauffassung, die Flugrouten würden nicht im Planfeststellungsverfahren, sondern erst kurz vor der Eröffnung des Flughafens in einem gesonderten Verfahren durch Rechtsverordnung festgesetzt werden. Folge dieser beim Projekt BBI/BER angewandten Vorgehensweise war, dass im Rahmen der Planfeststellung mehr oder weniger beliebige Flugrouten angenommen wurden, die die Modalitäten des geplanten Flugbetriebs nicht realistisch darstellten. Auf deren Grundlage wurden beim Planfeststellungsverfahren die UVP durchgeführt und auch alle lärmrelevanten Gutachten erarbeitet. Jedoch blieben dabei die erst kurz vor der ursprünglich geplanten Eröffnung des Flughafens festgesetzten, aber davon abweichenden Flugrouten hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit völlig ungeprüft, was geltendem EU-Umweltrecht widerspricht. Auch wenn die endgültigen Routen deutlich von den ursprünglich angenommenen Flugrouten abweichen sollten, sieht das deutsche Recht keine weitere UVP dieser Flugroutenfestsetzung vor. Dass die EU nun auf einer erneuten UVP auf Grundlage der von den ursprünglichen Planungen völlig abweichenden aktuellen Flugrouten besteht, offenbart somit ein rechtsstaatliches Defizit des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts.

Selbst der vierte Senat des Bundesverwaltungsgerichtes sah in seinem kürzlich ergangenen Urteil zu den Restitutionsklagen keinen Grund, den Planfeststellungsbeschluss von 2004 trotz der nachweisbaren rechtsstaatlichen Mängel bei der BER-Flugroutenplanung anzutasten. Er verstieg sich sogar zu der Rechtsauffassung, die Zulassung des Vorhabens an dem gewählten Standort und die Regelung des Flugbetriebs müssten grundsätzlich Bestand haben können. Sie sollten also rechtlich unangreifbar und unwiderruflich gültig sein und bleiben. Das gelte völlig unabhängig davon, welche An- und Abflugrouten im Planfeststellungsverfahren angenommen wurden und ob diese mit den vor der Eröffnung des Flughafens festgesetzten Routen übereinstimmen oder nicht. Der sich hier aufdrängende Verdacht der Rechtsbeugung ist zwar nicht beweisbar, wirft jedoch ersichtlich die Frage nach den Grenzen eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens auf. Eine neue UVP wird die Auswirkungen des Flugroutenbetruges von 1998 für jedermann sichtbar machen. Die dabei erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung wird zweifellos eine enorme Welle des Widerstandes von mehr als 200.000 Betroffenen aus der ganzen Flughafenregion über die Behörde hinwegfegen lassen. Das ist genau der Widerstand, den die Politiker und Planer schon 1998 fürchteten und der durch den zwischen ihnen verabredeten Flugroutenbetrug unbedingt vermieden werden sollte, was ja bekanntermaßen erfolgreich gelang! Es darf daher bezweifelt werden, dass eine UVP aufgrund der aktuellen Flugrouten erneut zu dem Ergebnis kommen könnte, die Umweltauswirkungen des Projektes seien mit den umweltbezogenen Standortbedingungen in Schönefeld uneingeschränkt vereinbar.

Der Vorstoß aus Brüssel hat aber noch einen weiteren interessanten Aspekt. Erst vor wenigen Wochen hat der BVBB wegen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes zur Restitution beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in diesem Urteil die erdrückenden Beweise der Kläger zu dem zwischen der Flugsicherung, dem Vorhabenträger und dem Brandenburgischen Ministerium 1998 verabredeten Flugroutenbetrug ignoriert und die Klage abgewiesen. Damit bestätigte es indirekt das bei deutschen Flughafenplanungen praktizierte, aber rechtsstaatswidrige "Splitting" zwischen Planfeststellung und Flugroutenplanung, das auch EU-Umweltrecht widerspricht. Delikat wird der Fall dadurch, dass im vorliegenden Fall zusätzlich zu dieser Rechtslücke von den Klägern der Täuschungsvorwurf erhoben wird. Sicher werden die Richter in Karlsruhe die jüngste BVBB-Verfassungsbeschwerde und die EU-Ankündigung mit besonderer Aufmerksamkeit lesen. Hier ist nicht nur das Flughafenprojekt BER allein betroffen, sondern darüber hinaus eine im deutschen Rechtssystem klaffende Lücke im Planungsrecht, die bei BER vorsätzlich zur Täuschung der Öffentlichkeit ausgenutzt wurde. Das Flughafenprojekt wird diese massiven Angriffe auf die rechtsstaatswidrigen Grundfesten seiner Planung nicht überleben.
 
Gunnar Suhrbier