Das Umweltbundesamt hat in seiner jüngsten „Lärmfachlichen Bewertung der Flugrouten für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg (BER)“ einige Formulierungen gewählt, die für Irritationen sorgen können. Es scheint daher angebracht zu sein, auf diese Ungenauigkeiten aufmerksam zu machen, um der weiteren unbedachten oder womöglich auch vorsätzlich irreführenden Verwendung solcher Aussagen entgegenzutreten.
Kernpunkt der Flugroutendiskussion am BER ist die Tatsache, dass die DFS im September 2010 mit einer bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannten Routengeometrie aufwartete. Diese Routen waren zwar für die Öffentlichkeit neu, nicht jedoch für die DFS, den Flughafenbetreiber und auch nicht für das Brandenburgische Infrastrukturministerium. Bei der Präsentation der Abwägungsergebnisse durch die DFS im Juli 2011 entsprachen die Abflugrouten zumindest im Nahbereich des Flughafens ziemlich genau den Abflugrouten in der auftragsgemäß von der DFS überarbeiteten Grobplanung vom 1.10.1998. Schon damals hatte die DFS vorgesehen, die Abflugwege von der künftigen nördlichen Piste geradlinig in der Verlängerung der Pistenachse verlaufen zu lassen. Für die künftige Südbahn sah sie in Übereinstimmung mit den Forderungen der einschlägigen ICAO-Dokumente für unabhängige Starts von einem Parallelbahnsystem eine um 15° von der Nordbahn-Startroute nach Süden abweichende Startroute vor. Diese vorläufigen Routenplanungen genügten also bereits damals den Wünschen des Flughafenbetreibers nach einem unabhängigen Betrieb beider Pisten des Parallelbahnsystems für Starts und Landungen als auch den dafür einzuhaltenden internationalen Vorschriften. Es soll hier ausdrücklich auf Folgendes aufmerksam gemacht werden: Schon die vorläufige DFS-Grobplanung aus dem Jahre 1998 war hinsichtlich der unumgänglich nötigen divergierenden Abflugwege für den BBI/BER so zuverlässig, dass sie sogar noch heute mit den jüngsten Routenplanungen der DFS vom Juli 2011 weitgehend übereinstimmt!
Diese überarbeitete Grobplanung der DFS vom 1.10.1998 wurde im Planfeststellungsverfahren nicht verwendet und vor der Öffentlichkeit sorgfältig verborgen. Dagegen wurde die gesamte Planung vorsätzlich und verabredungsgemäß mit einer Routengeometrie vorgenommen und mit dem Planfeststellungsbeschluß dann auch genehmigt, die die gewünschten unabhängigen Starts von beiden Pisten des Parallelbahnsystems von vornherein nicht ermöglichte. Die Hintergründe für dieses Vorgehen und die rechtlichen Konsequenzen sollen hier nicht näher betrachtet werden, denn sie sind der Kernpunkt weiterer beim Bundesverwaltungsgericht anhängiger Klagen.
Wesentlich erscheint es in diesem Zusammenhang dagegen zu sein, auf eine scheinbar unwichtige sprachliche Ungenauigkeit hinzuweisen. Sie ist bei genauer Betrachtung für das Verständnis der hier vorliegenden Täuschung der Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung. Zur Verdeutlichung dieses mißverständlichen Sprachgebrauchs soll beispielhaft ein Zitat aus dem o.g. Dokument dienen (Abschnitt 17.3/Münchner Verfahren, Seite 97):
Eine Divergenz der Abflugrouten ist jedoch nur dann erforderlich, wenn zeitgleich von beiden Start- und Landebahnen gestartet werden soll. Dies ist aber am Flughafen BER nur in Verkehrsspitzenzeiten erforderlich. Das sich [sind] nur wenige Stunden des Tages. In der übrigen Zeit könnte auf dem Parallelbahnsystem zeitlich versetzt gestartet werden.
Unabhängig davon, ob dieses Zitat die Meinung des UBA widerspiegelt oder die unkommentierte Wiedergabe von Vorschlägen aus der Fluglärmkommission ist: Dieser Aussage ist in jedem Fall entschieden zu widersprechen! Dazu sei ausgeführt, dass der Planfeststellungsbeschluß antragsgemäß einen unabhängigen Start- und Landebetrieb auf beiden Pisten des Parallelbahnsystems genehmigte. Die DFS muß diese Genehmigung wegen der vom Gesetzgeber für sie vorgesehenen Planungsaufgabe in ein Flugwegekonzept einarbeiten und dabei selbstverständlich die einzuhaltenden ICAO-Forderungen beachten. Maßgebend war und ist dabei für die DFS die Unabhängigkeit des Flugbetriebes auf beiden Pisten. Vereinfacht kann man formulieren, dass wegen dieser Unabhängigkeit auf jeder der beiden Pisten jederzeit beliebig gestartet und gelandet werden kann, ohne irgendwann und überhaupt auf die Aktivitäten der anderen Piste achten zu müssen.
Schon das Wort „Unabhängigkeit“ beschreibt ja genau den Sachverhalt, dass es keinerlei Abhängigkeiten zwischen den betrachteten Vorgängen gibt, also auch keine zeitlichen. Die Divergenz der Abflugrouten gemäß ICAO-Forderungen ist demzufolge immer dann erforderlich, wenn von beiden Pisten des Parallelbahnsystems unabhängig gestartet werden soll. Dieser Fall liegt beim BER vor. Auf die Gleich- oder Ungleichzeitigkeit der Abflüge kommt es dabei überhaupt nicht an. Alle (!) Abflüge von diesem System müssen die vorgeschriebenen Abflugwege benutzen. Es gibt ja ohnehin keine anderen: Alle seit September 2010 von der DFS vorgelegten Planungen für Abflugwege enthalten keine anderen als um mindestens 15° voneinander divergierende!
Daraus folgt, dass auch die Erörterung der Frage, wann denn überhaupt gleichzeitige Starts auftreten könnten, ins Leere läuft. Mit der vom MIL aufgestellten und hier offenbar unkritisch übernommenen Behauptung, dies sei nur in Verkehrsspitzenzeiten der Fall, wird versucht, vom wesentlichen abzulenken und den Leser für dumm zu verkaufen. Wenn auf welche Weise auch immer der Flugverkehr auf der anderen Piste im Auge behalten werden muß, um im Falle gleichzeitiger Starts von beiden Pisten womöglich durch eine Einzelfreigabe des Fluglotsen divergierende Abflugwege anzuweisen, so ist das kein unabhängiger Betrieb des Parallelbahnsystems mehr! Der war aber gerade gewünscht und gewollt und genehmigt. Daher entpuppt sich diese Argumentation als plumper Versuch, die Öffentlichkeit weiterhin zu täuschen. Das MIL hat sogar noch vor wenigen Monaten versucht, das Bundesverwaltungsgericht zu täuschen, indem es behauptete, die divergierenden Abflugwege würden nur für zeitgleiche Starts in Verkehrsspitzenzeiten benötigt!
Um den Skandal zu verstehen, dass die Öffentlichkeit bei dem Planungsverfahren für BBI/BER von Anfang an vom Rechtsstaat getäuscht worden ist, läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Es ist eine Tatsache, dass …
das gesamte Planfeststellungsverfahren für BBI/BER mit einer Abflugwegeplanung durchgeführt wurde, von der die beteiligten Planer und Behörden von vorherein wußten, dass diese den beantragten und später zu genehmigenden unabhängigen Flugbetrieb auf dem Parallelbahnsystem nicht ermöglichen würde;
alle (!) rund 180.000 Starts pro Jahr von den beiden Pisten des hier vorliegenden Parallelbahnsystems auf Abflugwegen erfolgen müssen, die vom Abflugweg der jeweils anderen Piste um mindestens 15° abweicht. Wegen der genehmigten Unabhängigkeit des Flugbetriebes, die sich in einer entsprechenden Routengeometrie widerspiegelt, kommt es dabei auf die Gleich- oder Ungleichzeitigkeit dieser Starts überhaupt nicht an;
mit der 1998 verabredeten Verwendung eines wissentlich falschen Routenkonzepts alle ortsbezogenen Lärmaussagen in allen Gutachten des Planfeststellungsantrages falsch waren;
der Planfeststellungsantrag vorsätzlich Unterlagen bereitstellte, aus denen vom Verfahren Betroffene das Ausmaß ihrer Lärmbetroffenheit nicht oder nur falsch entnehmen konnten. Damit verzichteten sie womöglich auf Einwendungen, was für das Planungsverfahren vorteilhaft war, die Betroffenen jedoch von jeder weiteren Teilnahme am Verfahren ausschloß.
Nach diesen Erörterungen sollte unmißverständlich klar geworden sein: Wer glaubt, die Aufregung und die rechtlichen Auseinandersetzungen um diesen größten Planungsskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte werden sich legen, nachdem der Flughafen BER in Betrieb genommen worden ist, sollte sich vor voreiligen Hoffnungen hüten. Ein Bauprojekt, dessen Genehmigung durch Täuschung der Öffentlichkeit erschlichen wurde, ist auch dann ein Schwarzbau, wenn die Bauherren Bund, Berlin und Brandenburg heißen!