Gemeinsame Presseerklärung
der Schutzgemeinschaft der Umlandgemeinden Flughafen Schönefeld e.V.), des Bürgerverein Brandenburg-Berlin e.V. (BVBB) und des Vereins zur Förderung der Umweltverträglichkeit des Verkehrs e.V. (VUV)
vom Donnerstag, 18. April 2013
MIL duldete seit 2008 falsche Umsetzung des Schallschutzprogramms für den Flughafen Berlin Brandenburg
Die Schutzgemeinschaft Umlandgemeinden Flughafen Schönefeld e. V. (Schutzgemeinschaft), der Bürgerverein Brandenburg-Berlin e.V. (BVBB) und der Verein zur Förderung der Umweltverträglichkeit des Verkehrs e.V. (VUV) sind über neue, erst kürzlich durch das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg (MIL) auf Anforderung des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vorgelegte Akten überrascht und empört. Das MIL hat im Rahmen der Klageverfahren zur Durchsetzung des Tag-Schutzzieles „0 x 55 dB(A)“ dem Gericht Akten überlassen, die ein höchst fragwürdiges Bild von den angeblichen Bemühungen der Behörde zur Durchsetzung des planfestgestellten Schallschutzzieles zeichnen.
So findet sich unter anderem ein Protokoll über ein Gespräch vom 20.11.2008 zum Thema „Tag-Schutzregelung“, an dem sowohl Vertreter der künftigen Flughafenbetreiberin Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH (damals FBS, heute FBB) als auch des MIL teilgenommen haben. Ausweislich des Protokolls hat die FBB dem MIL mitgeteilt, dass sie den Planfeststellungsbeschluss nicht so verstehen möchte, dass keine Maximalpegel über 55 dB(A) in den Innenräumen auftreten dürfen. Vielmehr wurde erklärt, das Schallschutzziel „keine Maximalpegel über 55 dB(A)“ mit der Berechnungsformel 16 x 55 dB(A) vollziehen zu wollen. Bei Zugrundelegung dieses Schutzziels würden sich nur Kosten in Höhe von ca. 139 Mio. € für das Schallschutzprogramm ergeben, nur diese Kosten habe die Vorhabenträgerin für ihre bisherige Kostenkalkulation herangezogen.
Dem Protokoll lassen sich Prognosen der voraussichtlichen Mehrkosten des in Wahrheit planfestgestellten Schallschutzzieles entnehmen, schon für die Berechnung eines Schutzzieles „1 x 55 dB(A)“ werden z.B. Mehrkosten in Höhe von 200 Millionen € angegeben. Um diese Mehrkosten zu vermeiden, wurden seitens der FBB mehrere Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen, so unter anderem eine Neufestlegung des Tag-Schutzziels zulasten der Fluglärmbetroffenen im Rahmen des in 2008 noch laufenden Planergänzungsverfahrens, ein Bestreiten der Verbindlichkeit der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.3.2006 oder eine schriftliche Bestätigung der Planfeststellungsbehörde, dass das Tag-Schutzziel im Sinne der Interpretation der FBB zu verstehen sei. Zur Reaktion des MIL heißt es in dem Protokoll:
„Eine verbindliche Zusage über die weitere Vorgehensweise wurde seitens der Planfeststellungsbehörde nicht getroffen. Es wurde ferner vereinbart, dass die Planfeststellungsbehörde die Sach- und Rechtslage auf Basis der durchgeführten Gespräche und der Berechnung von Herrn Dr. Isermann prüft.
Entsprechend einer vorläufigen Auswertung der Gespräche kündigte Herr Bayr in der Besprechung an, dass die Planfeststellungsbehörde keinen Anlass sieht, von der Regelung im Planfeststellungsbeschluss abzuweichen. Der FBS waren die Auflagen zum Tag-Schutz bekannt. Hiergegen hat sie nicht geklagt. Insofern besteht auch kein Bedarf, unter Heranziehung der Neufassung des FluLärmG die Regelung aufzuheben und gegebenenfalls eine Verschlechterung des passiven Lärmschutzes für die Betroffenen in Kauf zu nehmen. Im Gegenteil kann mit dem Argument der Kostenreduzierung für die FBS nicht der Lärmschutz der Betroffenen ausgehebelt werden. Im Hinblick auf die letzte Alternative sieht die Planfeststellungsbehörde aufgrund der bestandskräftigen Regelung des Planfeststellungsbeschlusses zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls keine Veranlassung, eine schriftliche Bestätigung über die hier strittige inhaltliche Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses abzugeben.“
Bürgermeister Carl Ahlgrimm, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft, die zwei ihrer Mitgliedsgemeinden bei deren durch die Kanzlei Siebeck Hofmann Voßen und Kollegen (München) vertretenen Klage gegen die Verschlechterung des Tag-Schutzzieles durch das MIL unterstützt, ist angesichts der neuen Erkenntnisse empört:
„Die erst jetzt in den Klageverfahren offen gelegten Akten des MIL belegen zweifelsfrei, dass sowohl der Planfeststellungsbehörde als auch der Flughafenbetreiberin bereits seit 2008 bekannt war, dass der Planfeststellungsbeschluss für das Tagschutzgebiet fordert, dass die Schallschutzvorrichtungen eine Abwehr von Maximalpegeln über 55 dB(A) zu gewährleisten haben. Die Flughafenbetreiberin hat dem MIL unumwunden mitgeteilt, dass sie dieses Schutzziel nicht gewährleisten wird. Das MIL hat zwar eine Änderung des planfestgestellten Schutzziels abgelehnt und auf dessen Bestandskraft verwiesen, in der Folgezeit aber nicht für eine rechtskonforme Umsetzung des Schallschutzprogramms durch die FBB Sorge getragen. Letztlich hat die Behörde durch ihr zögerliches Verhalten einen rechtswidrigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses jedenfalls nicht wirksam unterbunden und hierdurch sinnlose Kosten für den Steuerzahler und völlig unnötigen Aufwand für die Schallschutzberechtigten verursacht.“
Der BVBB, der Einzelklagen gegen die neue Tag-Schutzregelung, vertreten durch die Kanzlei Grawert und Partner (Berlin) unterstützt, kritisiert scharf das Verhalten des MIL gegenüber den Betroffenen. Der amtierende Vorsitzende Hans-Joachim Stefke erklärt:
„Allen Beteiligten war offensichtlich schon damals klar, dass das Tag-Schutzziel so wie es im Planfeststellungsantrag formuliert und mit dem Planfeststellungsbeschluss festgelegt wurde, umgesetzt werden muss. Trotzdem hat die FBB einfach so getan, als ob es eine Festlegung „keine Maximalpegel über 55 dB(A)“ nicht gäbe und über 10.000 Kostenerstattungsvereinbarungen mit einem völlig falschen Schallschutzziel und damit wertlosen Berechnungen erstellen und an die Bürger versenden lassen. Dem MIL war dies bekannt. Anhand der Akten ist zu vermuten, dass die Beteiligten einfach gehofft haben, keiner würde merken, dass hier versucht wird, die Bürger um den ihnen zustehenden Schallschutz zu betrügen.“
Auch der VUV, der weitere Einzelklagen gegen die neue Tag-Schutzregelung (vertreten durch die Kanzlei BAUMANN Rechtsanwälte Würzburg/Leipzig) vor allem durch sachverständige Hilfe unterstützt, ist angesichts des aktenkundigen Verhaltens von Behörde und Flughafen entsetzt. Die Vorsitzende Christine Dorn bemerkt zu den Vorgängen:
"Die Genehmigungsbehörde war nachweislich über die Absicht der Flughafengesellschaft, durch geplante Grenzwertverletzungen des geltenden Tagschutzziels Kosten zu sparen, von Anfang an informiert, hat aber nicht das Geringste dagegen unternommen! Nur zu berechtigte Kritik an der Umsetzung des Schallschutzprogrammes wurde als Querulantentum oder Kommunikationsproblem abgetan und selbst nachdem das OVG im vergangenen Jahr die Rechtsauffassung der Betroffenen bestätigte, blieb der erhoffte Durchbruch leider aus: Am 21.6.2012 hatte Ministerpräsident Matthias Platzeck in Teltow zwar noch zu Betroffenen gesagt: 'Wir haben ja jetzt eine Gerichtsentscheidung und wir werden uns daran halten!' Anhand der Akten ist nun aber belegbar geworden, dass das MIL seit vergangenem Sommer gar nicht die Absicht hatte, den Beschluss des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vom 15.6.2012 auch wirklich umzusetzen."
Schutzgemeinschaft, BVBB und VUV sowie die beteiligten Rechtsanwaltskanzleien kooperieren eng miteinander, um das Anliegen der Bürger, das Tag-Schutzziel „keine Maximalpegel über 55 dB(A)“ durchzusetzen und fordern das MIL auf, zu seiner Erklärung aus dem Jahre 2008, wonach das planfestgestellte Schallschutzziel für den Tag bestandskräftig und deshalb einzuhalten ist, zu stehen und endlich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dieses auch durchzusetzen.
Die mündliche Verhandlung über die Schallschutzklagen findet am 25. und 26. April 2013 vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg statt.
Carl Ahlgrimm Schutzgemeinschaft Umlandgemeinden Flughafen Schönefeld e.V.) |
Hans-Joachim Stefke BVBB e.V. |
Christine Dorn VUV e.V. |